Die dritte Primärfarbe, das Gelb
(Komplementärkontrast zu Violett) ist
in stark aufgehellter Nuance den Binnenflächen der Schiffe zugewiesen –
und jenen Linienverläufen, die in Teilen Bug oder Heck skizzieren und
lediglich in Fließspuren der Farbe auslaufen. Sind es längst im Meer
untergegangene Schiffe? Wracks, die bis zur ‚Wasseroberfläche‘ sichtbar
werden? Geisterschiffe? Die fragmentarische Darstellung gemahnt
jedenfalls daran. Einzelne Tupfen Orange markieren Zahlencodes und
Schriftzüge, wie Pinnadeln mit entsprechender Signalwirkung – für
‚Notizen‘ auf der Leinwand. Schon an dieser Stelle wird deutlich: Neben
dem Sujet stellt sich auch die Malerei als solche in diesen Bildern aus!
Dies wird ein weiteres Mal am
Farbauftrag
erfahrbar, der neben dünnen Lasuren auch Fließspuren in den Farben der
Palette, wie feine Gitterstäbe über den Bildträger spannt. Oder sieht
der Betrachter Blutspuren und Tränen? Zusammen mit den Farbspritzern
(besonders im dritten Schiffsrumpf des Mittelbildes)‚ überblenden sie
die opaken, schwarzen Figuren, die ansonsten als wesentliche
Bildelemente markiert sind.
Defiguration ist damit nicht nur an den
zuvor erwähnten ‚Schiffswracks‘ ablesbar, sondern oft durch Fließspuren
und Farbspritzer bedingt, welche die Figuren optisch zerteilen.
Figurative Überlagerungen finden sich bei den ‚losgelösten‘ Gruppen
zwischen den Schiffsrümpfen oder in den aufgereihten ‚Schwimmern‘ am
Heck des letzten Schiffes des Mittelbildes. Letztere nehmen darüber
hinaus eine Position ein, die aussieht, als befänden sie sich an einem
Startpunkt zu einem ‚Seelenflug‘ diagonal über das Schiff hinweg.
Die Deutung eines konkreten
Bildgeschehens wird dem Betrachter überlassen – denn OtGOs Werke folgen keinem narrativen Schema. Das heißt, der Betrachter muss sich das
jeweilige Bild Stück für Stück erschließen. Lässt er sich darauf ein,
dann ‚stolpert‘ er beim Triptychon
The
Galleys of Souls
über die Ambivalenz in den Thematiken der Sklavenschiffe und der
Galeeren. Denn die Darstellung widerspricht dem Titel, wenn es darum
geht, Ruder an den Schiffen auszumachen und die im Innern ausgestellte
Anordnung der Sklavenkörper als diejenige von Ruderern in Ketten zu
begreifen. Unsichtbar bleiben die Hände der aneinander Gefesselten –
jene Gliedmaßen, die Freiheit symbolisierten, wie der Künstler
andeutet. Trotz der Aussparungen ist man versucht, einige der
nebenstehenden Zahlen- und Lettern im weitesten Sinne als ‚codierte‘
Ruderformen zu interpretieren. Doch auch diese Codes geben ihr
Geheimnis nicht preis, da sie zwischen Anonymität und identifizierender
Kennzeichnung hin- und herspringen. Oft setzte der Künstler das
allgemeine, mongolische Wort
bool
(
боол)
für Sklave ein, beispielsweise im Mittelbild zwischen dem zweiten und
dritten Schiffsrumpf. Für einige Abwechslung sorgen dann kürzere
Namenslisten, so auch im dritten Teil am rechten Bildrand. Diese Namen
stammen von historischen Persönlichkeiten weltweit, die Opfer von
Sklaverei wurden.
Um eine Metamorphose in OtGOs Bildern festzustellen, wie ein
‚Statuswechsel‘ zum befreiten Sklaven oder ein Übergang vom Leben zum
Tod, sucht der Betrachter die ausgestellten Bewegungsmuster und
teilweise krampfhaft abgespreizten Extremitäten der Figuren außerhalb
der Schiffe ab. Ob diese Figuren dabei tatsächlich für noch lebende
Schwimmer, ‚fliegende‘ Seelen oder ‚tanzende‘ Tote stehen, ist anhand
der Darstellung per se nicht bestimmbar. Auch ohne Fesseln bleiben
diejenigen außerhalb der Schiffe gesichtslose Silhouetten im gleichen
Kolorit wie ihre ‚Brüder‘ an Bord. Alle gemeinsam erinnern an das
Schicksal der Sklaven auf den Überfahrten, deren Leben oft unbemerkt
und augenblicklich endete.
Auf der Suche nach
kunstgeschichtlichen und intermedialen Vergleichen zu OtGOs
The Galleys of Souls, sollen
exemplarisch drei Momente Erwähnung finden:
Löst man sich erstens radikal vom Sujet los und möchte allein
Figuration und Kolorit fokussieren, ist Helmut Middendorfs zweiteiliges
Gemälde
Electric Night
(1979, Leimfarbe auf Nessel, 200 x 300 cm, Städel Museum, Frankfurt/
M.) eine Option. Die Figuren des damaligen Neuen Wilden von der Galerie
am Moritzplatz in Berlin-Kreuzberg stellen zwar Tanzende bei Nacht dar
und wirken daher zunächst konträr zu OtGOs Sklavenfiguren. Jedoch
gestaltete Middendorf seine Figuren auch entsprechend minimalistisch,
als dunkle Schemen in einem Farbgemenge aus Blau und Rot. Außerdem sind
ihre zuckende Bewegungen anzeigenden Arme und Beine jenen der Figuren
außerhalb der Schiffe nicht unähnlich.
Geht man zweitens von afroamerikanischen Gegenständen und strukturellen
Analogien in der Malerei aus, lohnt auch der Verweis auf einen von New
Yorks ‚Szenestars’ der 1980er-Jahre: der Graffiti-Künstler und enge
Freund Andy Warhols, Jean-Michel Basquiat (1960-1988). In den Straßen
von SoHo hinterließ er Botschaften unter dem Pseudonym SAMO© (für „same
old shit“, den anhaltenden Rassismus). Und auch in seinen Bildern, wie
beispielsweise
Irony of a Negro
Policeman
(1981, Öl, Acryl und Buntstift auf Leinwand, 122 x 183 cm,
Privatsammlung, New York), gibt es Schriftzüge, die das jeweilige Sujet
kommentieren. Damit ist bei dieser Kunst das Verhältnis von Text und Bild
zu diskutieren – ein Umstand, der auch auf OtGOs Triptychon
The Galleys of Souls zutrifft,
obgleich die Schriftzeichen dort (bool, Namen) subtiler, aber
semantisch unspezifischer sind als bei Basquiat.
Drittens greifen inzwischen zahlreiche Filme die Sklaverei aus
unterschiedlichen Perspektiven, das Leid auf den Sklavenhändlerschiffen
oder die antike Galeerenstrafe auf. Beispiele sind die historische
‚Actionstory‘
Harriet
(2019) über die afroamerikanische Freiheitskämpferin und
Frauenrechtlerin Harriet Tubman (1820-1913), Steven Spielbergs
Amistad (1997) oder die
Literaturverfilmung
Ben Hur (2016) nach dem Roman
von Lew Wallace, um nur drei US-Produktionen der letzten fünfundzwanzig
Jahre herauszugreifen.