Mongolischer
Maler Otgo
Es ist der Geist, der zeichnet
Der
mongolische Maler Otgo schafft Breitband-Gemälde zwischen
Miniaturmalerei und Comic. Samstag lädt er in sein Offenes Atelier in
Köpenick. Von Birgit Rieger
Ershuu
Otgonbayars Bilder sind Detail und Abstraktion zugleich. Steht man
dicht vor diesen großformatigen Leinwänden, sieht man Zebraherden,
Gazellen und Tiger sowie männliche und weibliche Gestalten, deren
Körper sich strecken, die unter- und übereinanderliegen und sich
manchmal sogar gegenseitig verschlingen. Hält man etwas mehr Abstand,
vereinen sich die einzelnen Bildelemente zu abstrakten Texturen.
Tausende von Figuren tummeln sich auf diesen Leinwänden, die manchmal
mehr als sechs Meter breit werden können. Der aus der Mongolei
stammende Künstler Ershuu Otgonbayar, der sich den Künstlernamen Otgo
gegeben hat, zeigt seine Breitband-Gemälde zwischen traditioneller
Miniaturmalerei und Comic derzeit in seinem Köpenicker Malstudio.
Der Raum ist groß, mit einer beeindruckenden, mehrere Meter hohen
Fensterfront zur Wendenschloßstraße hinaus. Früher war hier ein
Yachtzentrum untergebracht. Es kommt in Berlin dann und wann vor, dass
Maler ihre Bilder auf eigene Faust in ihrem Atelier zeigen. Schon
seltener ist es, dass bei einer solchen Gelegenheit auch unvollendete
Gemälde präsentiert werden. Kaum ein Maler will sich so tief in die
Karten schauen lassen. Doch für Ershuu, Jahrgang 1981, hat der Weg
genauso viel Gültigkeit wie das fertige Bild. In einem der Werke sind
die Körper der Tiere noch nicht ausgemalt. Wenn er mit einem feinen
Stift Barthaare und Augen setzt, Streifen ins Leopardenfell zieht, dann
gibt er den Tieren ihren Geist, sagt Otgo.
Miniaturmalerei
im Selbststudium
Um vier
Uhr früh steht er auf, bei Sonnenaufgang fängt er an zu malen, er will
die Energie des jungen Tages nutzen. Und er braucht Ruhe, keine
Menschen um sich herum. Wer sich hier an den Alltag eines
buddhistischen Klosters erinnert fühlt, liegt gar nicht so falsch.
Ershuu, der am Rande von Ulan-Bator aufwuchs, hat die Lehren des
Buddhismus verinnerlicht, nur, dass er Religionen meist für zu
konservativ hält und mittlerweile durch und durch Berliner geworden ist.
Otgo hat in
seiner Heimatstadt Malerei studiert, danach vertiefte er sich im
Selbststudium sieben Jahre lang in die mongolische Miniaturmalerei,
lernte bei Mönchen. In der Thangka-Malerei werden die Buddhas, Lamas
und Schutzgottheiten nach sehr strengen formalen Regeln dargestellt.
Otgo kam damals zu dem Schluss, dass er die Meisterschaft der früheren
Thangka-Maler nie würde erreichen können. Weil er zu einer anderen Zeit
geboren wurde, mit anderen Herausforderungen. 2005 ging er nach Berlin,
machte seinen Master am Institut für Kunst im Kontext an der
Universität der Künste. Er wollte lernen, wie der Kunstbetrieb
funktioniert. Mehrere Jahre malte er gar nicht, sah sich stattdessen
die Kunst in Museen und Ausstellungshäusern an, eröffnete ein
mongolisches Kulturzentrum, in dem er internationale Kunst zeigte. Am
Ende war er enttäuscht, vom dominanten, westlich geprägten Blick der
Kunstgeschichte. In seinem Studio und in seinen Bildern lässt er nun
westliche und östliche Mal- und Denkweisen ineinanderfließen. Seine
Malerei ist vor allem auch Lebensphilosophie.
Der Geist soll
zeichnen, nicht die Hände oder der Verstand. So lehrten es ihn die
Mönche im Kloster. Otgos Bilder bestehen aus geronnener Farbe und
Fingerabdrücken, und vor allem aus unzähligen, zarten Linien, jeder
Strich, der einmal gesetzt ist, bleibt – als Umriss von Tierkörpern,
Armen und Beinen, Pflanzen. Eine Linie zu zeichnen sei wie Atmen, sagt
der Künstler. Ausatmen und Einatmen als Alternative zum aufgeregten
Kommentieren jeder Nachricht, die uns erreicht. Wenn er sich mit dem
Pinsel oder dem Stift über die Leinwand beugt, ist es für Otgo wie
Meditation. Und auch beim Betrachten kann der Verstand stoppen und der
Geist wach werden.
Quelle:
Der Tagesspiegel - Zeitung am Freitag, den 05.
Oktober 2018
https://www.tagesspiegel.de/kultur/mongolischer-maler-otgo-es-ist-der-geist-der-zeichnet/23148932.html
Abgerufen am 01.
Oktober 2019