Triptych: The Last Supper by OtGO 2020–2022 acryl on canvas 215 x 1000 cm

Last Supper -1 by OTGO 2020-2021, acryl on canvas, 212 x 300 cm    Last Supper -2 by OTGO 2020-2022, acryl on canvas, 212 x 400 cm    Last Supper -3 by OTGO 2020-2022, acryl on canvas, 212 x 300 cm
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Last Supper -3 by OTGO 2020-2022, acryl on canvas, 212 x 300 cm

Triptych: The Last Supper by OtGO | Inside the Studio: Work in Progress | Photo by Anna Wyszomierska





Andrea Gamp

Konstanz – Berlin, Februar  2021
OtGO:  The Secret Matrix of Coronavirus – oder Konfetti in der Hölle?

-- The text in English --

2020 markiert einen Bruch. Es ist das Katastrophenjahr, in dem das Coronavirus, SARS-CoV-2 weltweit über die Menschen hereinbricht. Das Leben wie es bisher war, ist hinweggefegt, das neue ähnelt einer Dystopie: Die Pandemie fordert Millionen Tote und Erkrankte, überstrapaziert die Gesundheitssysteme und befeuert die Wissenschaft in den Laboren. Eine neue Fratze der Globalisierung zeigt sich. Politiker streiten sich, preschen voran, wollen sich profilieren – letztlich fahren sie alle die Wirtschaft gegen die Wand. Die Bevölkerung muss lernen, mit medizinischen Masken, Kontaktsperren und massiven Beschränkungen zu leben, beruflich wie privat. Hygienekonzepten ist Folge zu leisten. Lockdown und Kurzarbeit bedeuten für die Menschen weniger Geld bei maximaler Flexibilität, oder sogar den Arbeitsverlust. Kindergärten und Schulen sind zeitweise geschlossen. Kulturelle Veranstaltungen entfallen, Museen, Theater und Kinos werden abgesperrt. Sport findet höchstens im Freien und vereinzelt statt. Die physische Trennung durch das Abstandsgebot, selbst im engen Familien- und Freundeskreis, und die Ängste um Gesundheit und Zukunft schlagen den Menschen auf die Seele. Talente wie Kreativität und Nervenstärke sind gefordert. Und manch einer erkennt: Entschleunigung und Konzentration auf Wesentliches können auch ein enormer Gewinn sein! Andere, neue Vernetzungen müssen entstehen. Meist dienen digitale Plattformen dazu, bisherige Gewohnheiten und Kommunikationsformen des menschlichen Miteinanders zu ersetzen. Hamsterkäufe bei Klopapier und Lebensmittelkonserven, geschlossene Restaurants und Wildwuchs auf den Köpfen sind einige der Faktoren, die im Alltag für Frustration sorgen. Flugzeuge bleiben am Boden, der Urlaub ist gestrichen. Einzig Natur und Umwelt genießen ein wenig Erholung von der ‚humanen Tyrannei‘!



The Secret Matrix of Coronavirus by OTGO 2020 acryl on canvas 75 x 100 cm
The Secret Matrix of Coronavirus by OtGO 2020, acryl on canvas 75 x 100 cm
Mit The Secret Matrix of Coronavirus (2020) hat der Künstler OtGO (* 1981) ein Bild geschaffen, das nicht nur in einem intensivierten Arbeitsprozess die oben skizzierten Verhältnisse des einschneidenden Jahres widerspiegelt. Das Coronavirus wird bereits explizit in Titel und Sujet thematisiert. Seine Motivation für das Bild beschreibt der Künstler selbst folgendermaßen:


Seit einem Jahr ist Corona täglich präsent. Es gibt massenhaft Informationen über Corona, die Zahlen verstorbener Menschen durch Corona und die Probleme… Durch Corona entstanden Probleme. Das hat mich dazu gebracht, dass ich das Bild malen musste“.


Es ist in der Tat eine ‚geheime Keimschicht des Coronavirus‘, mit der sich die Menschen weltweit sowohl im wörtlichen, medizinischen wie im übertragenen Sinne auseinandersetzen müssen – und zwar jeder Einzelne! Das tun auf ihre spezifische Art auch die Figuren innerhalb dieses Bildes, dessen Komposition ein großer, bezeichnenderweise bekrönter Krake konstituiert (das Wort corona bedeutet im Italienischen und Spanischen auch „Krone“).
 
Das Meerestier mit den acht ausgreifenden Fangarmen, das hier ausgestreckt zum linken Bildrand schwimmt, agiert so als Sinnbild für das grassierende Virus. Zu den Eigenschaften der hochintelligenten Spezies der Kopffüßer zählt, dass sie Farbe und Form verändern und durch Tarnung nahezu unsichtbar für ihre Feinde werden. Direkt erkennbar im Bild wird das im Realraum unsichtbare Übel Corona an den Viruspartikeln mit der charakteristischen Proteinstruktur, die dem Betrachter gelb entgegenleuchten.

Es greift um sich“, wie OTGO äußert. Beschwichtigend fügt er hinzu:

Freiheit und Glück haben daran teil. Die Ausgangssperre: Plötzlich ist die ganze Welt still. Ethnologie. Das alles ist wichtig für das Bild. Die Entschleunigung, die Stille zu leben ist für die Menschheit sehr schmerzhaft und problematisch, aber für die Natur ist es das Gegenteil. Sie erholt sich, und jetzt kommt der Winter, ein richtiger Winter. Also, das ist dieser Gegensatz, den ich für das Bild deutlicher machen möchte.

Ungewöhnlich für OTGOs Œuvre ist das mittlere Format von 75 x 100 cm, Acryl auf Leinwand. Es ist der ‚Vorbote‘ eines größeren Triptychons zum Thema Corona, Last Supper (2020-2021, Acryl auf Leinwand, 215 x 300 cm, 215 x 400 cm, 215 x 300 cm), an dem der Künstler aktuell noch arbeitet. Außerdem unterhält The Secret Matrix of Coronavirus auch ‚Wechselwirkungen‘ mit einigen Großformaten in Acryl aus demselben Jahr, die an dieser Stelle lediglich erwähnt werden können: Kingdom of the Apes (Triptychon: 312 x 312 cm, 160 x 150 cm und 190 x 160 cm), am offensichtlichsten anhand der identischen, zentralen Affenfiguren; oder aber Infinite –16 (2013-2020, 213 x 650 cm), welches allumfassendes Sein im Sinne eines lamaistischen Buddhismus zelebriert.
Das Kolorit in The Secret Matrix of Coronavirus ist eigentümlich, da es überwiegend alle ‚Feuerfarben‘ oder Wärme assoziierenden Schattierungen von Rot-, Orange- und Gelbtönen, durchsetzt mit Schwarz aufweist. Dies erstreckt sich einerseits auf den mit Farbfließspuren gestalteten Bildgrund, auf dem die Figuration in Schichten entsteht. Die Farbgebung betrifft dann andererseits ebenso die menschlichen und tierischen Figuren im Einzelnen. Sehr präsent im Bild ist außerdem das Gelb, welches wie oben erwähnt, das Virus an sich, aber auch das strukturell verwandte Krakenauge, Geld in Form von Münzen und das Fell einzelner Zebras markiert.
 
Der große Schwarzanteil wird den dominanten Affen zuteil, die Schimpansen ähneln und damit Artverwandte des Menschen verkörpern. Ergänzend wirkt das Hellbraun als Grundton für die Krakenhaut. Geringe Anteile der Primärfarben Blau, Rot, Gelb ‚streuen‘ wie Konfetti in feinen Klecksen um die Viruspartikel herum und liefern so eine Idee, das ‚Spreading‘ der Aerosole abzubilden.

Blau wird mit Weiß versetzt, um Atemschutzmasken und Totenschädel zu kennzeichnen. Reinweiß ist den Totenköpfen vorbehalten oder findet sich in hartem Kontrast zu Schwarz in den Streifen der Zebras.
Der Farbauftrag wirkt bei diesem Bild insgesamt opak, auch wenn Lasuren nachweisbar vorhanden sind, sichtbar beispielsweise an den roten Affen ohne Konturlinien am oberen Bildrand. Alle anderen Einzelfiguren bestehen im Allgemeinen aus feinen, schwarzen Tuschekonturen, in die jeweils flächig Farbe eingetragen wird. Auffallend bei The Secret Matrix of Coronavirus ist der differenzierte Malduktus, der die menschlichen Figuren gegenüber den tierischen stärker abstrahiert. In ihrer Reduktion auf nackte, haarlose Wesen mit weiblichen oder männlichen Geschlechtsmerkmalen, die höchstens noch Gesichtsmasken tragen, wirken sie wie aus einem Comicstrip entnommen.

The Secret Matrix of Coronavirus by OTGO 2020, acryl on canvas 75 x 100 cm
Detailansicht: The Secret Matrix of Coronavirus

Die Gesichter der Affen weisen dagegen mehr Binnenstrukturen auf, ihre Mimik ist deutlicher ausformuliert. ‚Neu‘ in der Linienführung sind auch die vielen kleinen Kreise und Schraffuren für die Hautbeschaffenheit des Kraken sowie die Wellenlinien für die Saugnäpfe.
OTGOs charakteristische Signatur, der Daumenabdruck mit Schriftzug in senkrechter Schreibrichtung, findet sich in der rechten unteren Bildecke. Zudem ist der gelbe Daumenabdruck als ‚Identitätsmarker‘ mehrfach im Bildfeld präsent.

Hinsichtlich der Figuration ist weiter zu sagen, dass das gesamte Bildfeld von menschlichen und tierischen Figuren dicht ‚bevölkert‘ wird: ein Detailreichtum, der bezeichnend ist für OTGOs Werke und in der Miniaturmalerei wurzelt. Die Figuren verbleiben allesamt in der Fläche. Dennoch entsteht im Bild durch die miteinander ‚verwobenen‘ Farbschichten ein Eindruck von Tiefe, von einem Farbraum im Bildfeld. Dabei bleibt die Suche nach einer ‚klassischen Bildstruktur‘ von Vorder- Mittel- und Hintergrund hier vergeblich.
Die Strukturierung fällt einer Figur zu, genauer gesagt dem großen Kraken, der als ‚Konnexfigur‘ die Zonen des Bildfeldes ‚zusammenhält‘. Der Oktopode scheint aus dem Bildgrund heraus, inmitten der Säugetiere (Primaten, Equiden) ‚aufzutauchen‘. Dabei ‚wirbeln‘ seine Tentakel in Schlangenlinienformen und Ringeln den Bildgrund auf, um schließlich wieder darin ‚abzutauchen‘. Entsprechend der Schwimmbewegung des Tieres, wird es auch im Bild wie in einem Wasserstrudel von den Massen der weiteren Figuren ‚umspült‘.
Dennoch bleibt aus einer Fernbetrachtung noch unklar, wie das eigentliche Bildgeschehen zu deuten ist. Vielmehr erscheint es im Überblick als ein anarchisches, absurdes Treiben voll ‚wuselnder Bewegungen‘ zwischen den unterschiedlichen Figurengruppen (Affen, Menschen, Reiter). Das Betrachterauge wird damit kontinuierlich herausgefordert, die einzelnen Bildabschnitte ‚abzutasten‘, um sich Zusammenhänge sukzessive und entgegen konventioneller Seherfahrungen zu erschließen.


The Secret Matrix of Coronavirus by OTGO 2020, acryl on canvas 75 x 100 cm
Detailansicht: The Secret Matrix of Coronavirus

Da fällt es ausgehend von den Fangarmen des Kraken sofort auf, dass es die schwarzen Affen und ihre Nachkommen sind, die allerhand ‚Schabernack‘ treiben! Ihre schier endlose Aufreihung entlang der Fangarme und ihre Körperhaltungen, wie das ‚Auflegen‘ der Arme oder spielerische Gesten unter Verwendung der Schädel,  suggerieren ein Spektakel wie in Theaterlogen oder bei Festbanketten. Ein Ereignis für Groß und Klein! Jener oberste Tentakel, der weit nach vorne ausgreift, dient den Affen als ‚Kletterbaum‘.

The Secret Matrix of Coronavirus by OTGO 2020, acryl on canvas 75 x 100 cm
Detailansicht: The Secret Matrix of Coronavirus

Und auch das Virus, das dieser Spezies offenbar nichts anhaben kann, ‚wandert‘ daran entlang nach oben. Die eingerollten Fangarmspitzen transformieren in ‚Schaukeln‘ für die Tiere. Offenbar tun die Affen im Bild all jene Dinge mit ‚Spaßfaktor‘, die ihren Artverwandten, den Menschen während der Pandemie aufgrund der Ansteckungsgefahr verwehrt bleiben!



The Secret Matrix of Coronavirus by OTGO 2020, acryl on canvas 75 x 100 cm
OtGO YouTube VIDEO








 


 


































 












The Secret Matrix of Coronavirus by OTGO 2020, acryl on canvas 75 x 100 cm
Detailansicht: The Secret Matrix of Coronavirus

Apropos Primatenfamilie – in The Secret Matrix of Coronavirus wird klar, dass die Grenze zwischen Menschen und Affen aufgehoben ist, was die Malerei unter anderem über die schwarzen, menschlichen Figuren am oberen Bildrand realisiert. Die Affen werden geradezu vermenschlicht und als die vielfältigsten und aktivsten Figuren im Bild wiedergegeben. So sind es die Affen, die verschmitzt und schelmenhaft aus dem Bild herausschauen sowie innerbildlich über Blickbeziehungen untereinander oder mit den Menschen interagieren. Letztere reagieren allerdings mit erschrocken aufgerissenen, ins Leere starrenden, abgewandten oder gar geschlossenen Augen. Selten richten sie den Blick über die ästhetische Bildgrenze hinweg dem Betrachter entgegen. Im Bild zeigen sich keine menschlichen Heiligen, sondern große Gruppen von Affen, die einen Nimbus (Heiligenschein) tragen. Sie sind es aber auch, die Geld ‚horten‘, Gewehre bei sich tragen und Gewalt ausüben! So gibt es eine Bildstelle in der oberen Bildhälfte, in der Männer und Frauen von Affen mit Waffen bedroht werden, als wollten diese sie hinrichten. Die Affen im Bild belästigen und umklammern menschliche Leiber, verschleppen Wehrlose.

The Secret Matrix of Coronavirus by OTGO 2020, acryl on canvas 75 x 100 cm
Detailansicht: The Secret Matrix of Coronavirus

Oft handelt es sich bei solchen Opfern um weibliche Figuren, wie zwischen den mittleren Fangarmen des Kraken mehrfach zu sehen ist.
Untereinander pflegen diese Primaten aber einen anderen Umgang: Zuwendung wird bei einigen eng beieinander sitzenden Affenpaaren greifbar, rechts oben im Bild.
Selbst soziale Hierarchien könnte man den gemalten Affen unterstellen. Unmittelbar unter dem Kopf des Kraken gibt es vier bewaffnete, bekrönte Affenfiguren mit angedeuteten Halsketten (‚Spreading‘-Partikel), die zwar im Habitus von Monarchen mit Kronjuwelen auftreten, aber auch Menschenfiguren drangsalieren.

The Secret Matrix of Coronavirus by OTGO 2020, acryl on canvas 75 x 100 cm
Detailansicht: The Secret Matrix of Coronavirus

Ist damit tatsächlich der königliche Status eines King Louie aus Walt Disneys The Jungle Book (1967) aufgerufen, oder handelt es sich vielmehr um einen Verweis auf die negative Situation durch Corona?
OTGO gibt eine umfassende Antwort:

"Es gibt die Zerstörung der Natur durch den menschlichen Umgang, die Verantwortung der Menschen gegenüber der Natur und das Karma. Problematisch ist das menschliche Ego, der Mensch ist Alleinherrscher über die Natur… Also für mich sind Menschen und Tiere nicht zwei sondern eins. Jetzt ist es die Natur als Ganzes (ausgenommen die Menschen), die menschliche Gier, Überbevölkerung und Macht bekämpft, weil der Mensch nie zufrieden ist. Und das Geld ist von Menschen geschaffen, Reichtum und Konsum sind hierbei wesentlich. Die Affen symbolisieren den Ursprung des Menschen und sich selbst als Tiere, die gegen die Menschen kämpfen, im Namen von allen anderen Tieren."

Des Weiteren gilt es für den aufmerksamen Betrachter, Figurenüberlagerungen und -kumulationen zu entdecken. Figuren legen sich über Figuren und werden so selbst zur Basis für weitere Figuration. Am augenscheinlichsten ist dies an jenen beiden Stellen in der oberen Bildhälfte, an denen sich bezeichnenderweise große Mengen an Totenschädeln und Geldstücken derart über den Lebenden häufen, als wollten sie diese ersticken. Das lässt etwa auf ein Massengrab und Schuldenberge schließen – Gedanken, die angesichts der Pandemie und ihrer fatalen Auswirkungen nicht verfehlt erscheinen. OTGO bringt es im Künstlergespräch auf den Punkt:

"Dabei spielt auch durch die Information das Geld in Zahlen eine große Rolle, weil noch nie so viel Geld als Hilfe, als staatliche Unterstützung angeboten wurde. Die Zahlen kann man nicht begreifen, es werden Millionen, Milliarden, Billionen an Hilfe und Unterstützung  angeboten. Ob das Geld für die Menschen und die Natur wird Hilfe leisten können? Geld als Gier, Macht, Reichtum, als göttliche Macht, Konsum?"

The Secret Matrix of Coronavirus by OTGO 2020, acryl on canvas 75 x 100 cm
Detailansicht: The Secret Matrix of Coronavirus

Unterschiedliche Schädelgrößen und das Grinsen einiger Exemplare sind damit Vehikel eines kritisch-ironischen Untertons.
Die Cineasten unter den Betrachtern werden in der Anhäufung und den in der Malerei angedeuteten, ‚rollenden‘ Bewegungen der Schädel den ‚Pfad der Toten‘ aus Peter Jacksons Trilogie The Lord of the Rings erkennen: Jene Filmszene von The Return of the King, in der eine ‚Lawine‘ solcher Schädel beim Einstürzen der Höhle niedergeht und die Helden unter sich zu begraben droht. Eine dritte Stelle der ‚Figurenverdichtung‘, die Rhythmik in die Malschichten bringt, ist die ‚Wolke‘ von unterschiedlich großen Viruspartikeln, die sich über Mantel, Kiemen und Schnabel des Kraken schiebt. Folglich sind die Elemente Virus, Tod und Geld im Bild wie im Leben schicksalhaft miteinander verknüpft.

The Secret Matrix of Coronavirus by OTGO 2020, acryl on canvas 75 x 100 cm
Detailansicht: The Secret Matrix of Coronavirus
 
Aber auch Defiguration ist The Secret Matrix of Coronavirus immanent: Schon der Bildausschnitt sorgt am oberen Bildrand für einige angeschnittene Menschenhäupter. Kurios ist das Beispiel einer männlichen Figur im Bildfeld, die zusammen mit einem Kind auf einem Zebra reitet.

The Secret Matrix of Coronavirus by OTGO 2020, acryl on canvas 75 x 100 cm
Detailansicht: The Secret Matrix of Coronavirus

Dabei wäre das Reiten eines wilden Zebras an sich schon außergewöhnlich (da sich diese Spezies de facto der Zähmung verweigert), kommt aber in der Logik des Bildes mehrfach vor. Man findet den Reiter unmittelbar unterhalb einer Windung des obersten Fangarmes des Kraken, der schlicht als Malschicht über den ‚Betroffenen‘ hinweg verläuft: Optisch wird der Reiter dadurch aber nicht im Hintergrund verortet. Aus der Fläche betrachtet sieht es vielmehr so aus, als sei ihm der Kopf vom Rumpf abgetrennt worden und er wolle nun ‚kopflos‘ einer aussichtslosen Lage entfliehen!
Am unteren Bildrand sind ausschließlich Affen von derartigen ‚Verstümmelungen‘ an den Füßen betroffen.

Die oben bereits erwähnten, ‚roten Affen‘ stellen ebenfalls einen figurativen ‚Zersetzungsprozess‘ dar. Durch ihre schemenhaft ausformulierten Körper, stechen die konturierten, grauen Gesichter und Ohren umso mehr hervor – beinahe, als würden die Körper transparent und vom gleichfarbigen Bildgrund ‚geschluckt‘ oder ‚zersetzt‘ werden! Man mag diese schelmischen Figuren auf der Leinwand daher beinahe schon für ‚entfernte Verwandte‘ der ‚Grinsekatze‘ halten, aus dem famosen Kinderbuch Alice’s Adventures in Wonderland des Briten Lewis Carroll (1865).


















 

 




Schließlich verdient auch die gesamte Reitergruppe oberhalb des Krakenkopfes eine eingehende Betrachtung, da sie aufgrund der Tierfiguren außergewöhnlich und zugleich für die Gesten der menschlichen Figuren im Bild exemplarisch wirkt: Die Reittiere in Seitenansicht formieren eine Herde aus Zebras und Pferden, die im Galopp (siehe Schrittfolge) nach links, der Bildgrenze entgegen zu preschen scheint.

Dabei handelt es sich bei den Zebras um weiß- und gelbgestreifte Figuren, die allesamt gesichtslos dargestellt sind. Optisch sorgen die Überlagerungen ihrer Extremitäten sowie die Streifenstrukturen für ein wildes Durcheinander. Die Pferde dagegen verschmelzen auch farblich mit ihren nackten Reitern zu rotorangen Figuren und weisen alle ausformulierte Augen, Nüstern, Mähnen und Schweife auf. Die Körperhaltungen der Reiter sind ‚lose‘ und um die Körperachse beweglich, sie reiten die Wildtiere frei, ohne jeden Zwang von Sattel und Zaumzeug.

The Secret Matrix of Coronavirus by OTGO 2020, acryl on canvas 75 x 100 cm
Detailansicht: The Secret Matrix of Coronavirus

Farbgebung und Darstellungsweise weisen sie als Reiter asiatischer Prägung aus. Naheliegend, dass man angesichts der engen Verbindung dieser Figuren mit ihren Tieren und der Reitweise mongolische Reiter auf einem rasanten Ritt durch die Steppe vermutet. Man möchte meinen, OTGOs Reiter hätten es im Kontext des Bildes ebenso mit ‚Tod und Teufel‘ zu tun. Tatsächlich sind sie aber in jeder Hinsicht das extreme ‚Kontrastprogramm’ zu einer der bekanntesten Reiterfiguren aus der westlichen Kunstgeschichte, dem Ritter in Albrecht Dürers Kupferstich Ritter Tod und Teufel (1513).

The Secret Matrix of Coronavirus by OTGO 2020, acryl on canvas 75 x 100 cm
Detailansicht: The Secret Matrix of Coronavirus

Dürers einzelner, technisch bedingt bis ins kleinste Detail ausgearbeiteter Ritter strahlt Statik und Ruhe aus. Das Pferd verbleibt in versammelter Haltung trabend, im vielteiligen Zaumzeug und unter dem Sattel gebändigt. Sein Reiter wird zwar auch von der Seite nach links reitend gezeigt, richtet den Blick aber konzentriert nach vorne und verharrt in der Schwere des Körpermittelpunktes auf dem Pferderücken.
Bemerkenswert anders sitzen OTGOs Reiter auf ihren Reittieren, meist zu zweit oder zu dritt, über die Figurengrößen oft als Vater, Mutter und Kind identifizierbar. Präsent ist auch hier das im Bild mehrfach wiederkehrende Motiv von Müttern mit Kleinkindern auf dem Arm.

The Secret Matrix of Coronavirus by OTGO 2020, acryl on canvas 75 x 100 cm
Detailansicht: The Secret Matrix of Coronavirus

Einige der Figuren tragen Atemschutzmasken, andere wenden ihre Körper nach hinten ab, um den umherfliegenden Viruspartikeln zu entgehen. Ein Reiter hält einen Totenkopf im Arm.
Die reitenden Figuren veranschaulichen, mit teilweise weit aufgerissenen, verdrehten oder verschlossenen Augen sowie abwehrenden Handhaltungen, Angst und Entsetzen. Andere menschliche Figuren im Bild tun es ihnen gleich.
 
Für jene anderen menschlichen Figuren im Bildfeld abseits der Reitergruppe gilt, dass sie frontal, in Seitenansicht sowie als Rückenfiguren alle möglichen Sitz-, Liege- und Standpositionen einnehmen. Wiederholungen treten auf: Dreier-, Vierer- und Fünfergruppen zwischen den Fangarmen des Kraken, deren Einzelfiguren wie ‚gleichgeschaltet‘ Posen kopieren.

The Secret Matrix of Coronavirus by OTGO 2020, acryl on canvas 75 x 100 cm
Detailansicht: The Secret Matrix of Coronavirus

Die Figurengruppen in der rechten, oberen Bildecke scheinen sogar mit ausgestreckten oder hinter dem Kopf verschränkten Armen einzeln zu ‚tanzen‘. Vergleichbar mit diesen ‚Tänzern‘ tritt neben dem untersten, eingerollten Tentakel des Kraken auch eine einzelne, weibliche Figur in kämpferischer Pose auf. Sie ist umgeben von Geldstücken und Viruspartikeln. Die ausgestreckte Faust und der zu einem Ausruf geformte Mund machen sie beinahe zu einer auf die ‚Corona-Lage gemünzten Schwester‘ der ukrainischen Femen-Demonstrantinnen.

The Secret Matrix of Coronavirus by OTGO 2020, acryl on canvas 75 x 100 cm
Detailansicht: The Secret Matrix of Coronavirus
(Die Freiheit führt das Volk von Eugène Delacroix 1830)
(Oksana Schatschko 1987-2018)

In einer Dreiergruppe aus weiblichen Figuren mit geschlossenen Augen und unterschiedlichen Gesten der Verzweiflung, zwischen den mittleren Tentakeln des Kraken verortet, werden die drei Grazien parodiert:

The Secret Matrix of Coronavirus by OTGO 2020, acryl on canvas 75 x 100 cm
Detailansicht: The Secret Matrix of Coronavirus
 
Die Erste hält sich den Kopf, presst ihr Kind an sich und kann sich des Zugriffs eines übermütigen Affen nicht erwehren. Die Zweite drückt sich halb gebeugt einen Totenschädel gegen den Bauch und die Dritte wirft die Arme wie klagend in die Luft. Ihre Hände finden nicht zu einer Berührung oder Umarmung zueinander, die Trias zerfällt in Isolation und Vereinsamung. Jede Figur steht für sich.

Am Ende sind es vielleicht weitere Kontexte aus der westlichen Kunstgeschichte, die dem Betrachter als Vergleichsbilder in den Sinn kommen. Beispielsweise neuzeitliche Höllendarstellungen eines Hieronymus Bosch (um 1500/ 1510) oder Sandro Botticellis Version von Dante Alighieris Inferno aus der Divina Commedia (1480/1490)– nicht zuletzt über das Kolorit und die Torturen an den nackten Leibern. Die Art der Darstellung in The Secret Matrix of Coronavirus erinnert zudem fern an landschaftliche Bildwelten, wie die ‚Wimmelbilder‘  von Pieter Brueghel (um 1560). Wo Brueghels Figuren jedoch als Staffagen in ruralen Landschaften erscheinen können und durchaus ‚Zwischenräume‘ für eine Abfolge von Narrationen im Bild lassen, bilden OTGOs Figuren in einem ‚Strudel der Bewegung‘ ein gleichzeitiges Miteinander auf engstem, undefinierbarem Raum ab. Trotz der oben genannten, möglichen Referenzen wird spätestens nach diesem knappen Abgleich abermals deutlich, dass der Maler OTGO eine originäre Ikonografie entwirft. Die bietet dem Betrachter viel Interpretationsspielraum – oder eben: Konfetti in der Hölle!
Was vermag also eine Malerei nach der Postmoderne, in Pandemiezeiten von Corona zu zeigen? Sicherlich Eines: Wer derzeit trotz aller Widrigkeiten noch mit einem ironischen Zwinkern in die Welt schauen kann, macht sich das (Über-) Leben leichter!

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Quellen:

Künstlergespräche am 05.01.2021, 12.01.2021 und 01.02.2021
arte, Geheimnisvolle Wesen: Die faszinierende Welt der Kopffüßer/ Youtube (https://youtu.be/ma3JBzsTKOM, 31.01.2021).
Homepage des Künstlers, (http://www.otgo.info/Werke/infinite.html, 27.01.2021).
Otgo in lockdown (Artist in the Lockdown time: Part 1)/ Youtube, (https://www.youtube.com/watch?v=nBxz3ubHH14, 22.01.2021).
The Secret Matrix of Coronavirus by OtGO 2020
/ Youtube
(https://youtu.be/HEBj1USNL4o, 24.12.2020)



 


 





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