ANDERMATT
byOtGO 2022, acryl
on
canvas 200 x 150 cm
STAMMTISCH Hochgefühle erleben
Andermatt. Den ganzen Juni hat
der Maler OtGO in Andermatt verbracht und bekanntlich die Galerie Art
87 als offenes Atelier genutzt. Da der junge Mann nicht nur überaus
kommunikativ, sondern auch ein wahrer Menschenfreund ist, hat er mit
ebenso offenem Herzen jeden in der Galerie empfangen, der sich für
seine Kunst interessierte. Kunst zum Anfassen, sogar zum Mitmachen
hatte Otgo aufgefordert und so manchen die Schwelle einer Galerie
übertreten lassen, der sonst ehe zögerlich durch die Fenster geschaut
hätte. Wie der «Stammtisch»-Redaktion jetzt zu Ohren kam, haben rund
200 Menschen zum Pinsel gegriffen und auch einen Punkt auf das Bild
«Andermatt» gesetzt, an dem Otgo gerade malte. So einfach kann man das
Gefühl bekommen, für einen Moment selbst ein Künstler zu sein. Das
grosse «Gemeinschaftswerk» wird übrigens im Dorf bleiben, da es ein
privater Käufer aus Uri erworben hat. Inspiriert von der mongolischen
Kunst soll ein Ausschnitt aus dem Werk «Andermatt» bald auch die
Visitenkarte des Käufers schmücken, war zu hören.
Die Quelle:
Urner Wochenblatt | Mittwoch, 06. Juli 2022
ANDERMATT
byOtGO 2022, acryl
on
canvas 200 x 150 cm
OtGO and 100 other people
participated | 'We ❤ Andermatt' work in progress film | June 2022 Swiss
YouTube https://youtu.be/Ic0DVjfJCyQ
ANDERMATT
byOtGO 2022, acryl
on
canvas 200 x 150 cm
Bernhard Russi &
OtGO
Urner
Wochenblatt | 146. Jahrgang | Nr. 48 | Samstag, 18. Juni 2022
Andermatt | Mongolischer
Künstler OtGO hat die Galerie Art 87 zu seinem
offenen Atelier gemacht
Sich in der Zeit verlieren und
beim Malen den Augenblick im Jetzt fühlen
Franka Kruse
Noch keine Woche
ist er im Dorf, und schon klingt es, wenn jemand
eintritt: «Hallo Otgo», «Hi Otgo», «Salü Otgo» oder «Grüezi Otgo». Das
kann daran liegen, dass der Grossstädter aus Berlin sehr kommunikativ
und sympathisch ist. Es kann aber auch daran liegen, dass der
mongolische Künstler Otgonbayar («Otgo») Ershuu die
Menschen einfach
mag und deshalb ganz bewusst die Türen zu seinem provisorischen Atelier
in Andermatt immer offen hält, wenn er dort arbeitet – frühmorgens,
mittags, abends oder sogar nachts. Zu jeder Zeit sind alle stets
willkommen, ihm über die Schulter zu schauen, wenn er an seinem
aktuellen Werk «Andermatt» arbeitet. Begonnen hat es Otgo am 11. Juni,
noch bis zum 30. Juni ist der 41-Jährige in der Galerie Art 87 an der
Gotthardstrasse in Andermatt mit seiner Einzelausstellung «A World
Beyond» zu Gast, die von Heidi und Franz Leupi kuratiert wird. Sie
führen die Galerie Art 87 in diesem Sommer für einige Monate.
Jeder Mensch ist Bereicherung
«Ich habe kein Geschäftsgeheimnis», sagt Otgo. Vielmehr möchte er sein
künstlerisches Schaffen offenlegen und jeder und jedem Interessierten
einen Zugang zu seiner Kunst verschaffen. Durch das Schaufenster der
Galerie geniesse er seinerseits, ein Teil von Andermatt zu sein, wenn
er hinaus aufs gerade wirklich bunte Treiben so kurz vor dem Jodlerfest
schaut. «Jeder Mensch, der zu mir reinkommt, ist eine Bereicherung für
mich», sagt der Künstler mit einem so grossen Strahlen im Gesicht, dass
man seine Freude tatsächlich glauben kann. Er fühle sich als
Botschafter seiner Werke, und ein Botschafter müsse vor Ort sein.
Und schon wieder schaut jemand zur Tür herein und staunt beim Anblick
der ungewohnten Bilder. Sie sind farbenfroh und derart kleinteilig,
dass man einem Dickicht aus filigranen Figuren, Tieren und Formen
gegenübersteht. Aus der Nähe betrachtet, gibt es viel zu entdecken.
Unzählige Pferde scheinen in einer riesigen Herde vor- und zurück-,
hin- und herzugaloppieren. Mit Abstand vom Grossformat (160
x 400
Zentimeter) wird die Dynamik des Bildes deutlich – Wellen bewegen
sich
im unendlichen blauen Ozean. Etwas Abstraktes rückt in den
Vordergrund. Hunderte von Affen und Menschen, Erwachsene wie Kinder,
besiedeln förmlich ein anderes, fast 2 Meter hohes Gemälde. Wandern
die Augen über das Bild, entdeckt man einen Tiger in einer Ecke, weiter
oben einen Gepard, der ebenfalls nicht gerade bedrohlich schaut.
Menschenkinder sitzen in den Schössen einiger Affenmütter, alles macht
einen friedlichen und einträchtigen Eindruck. Zwei Schritte
zurückgetreten, bildet das Wirrwarr einen grossen geordneten
Familienstammbaum.
Bauchgefühl ist entscheidend
«Ich denke nicht darüber nach, was ich mache. Ich male einfach aus dem
Bauch heraus», erklärt Otgo, wenn man ihn nach Bedeutungen fragt. Für
ihn sei immer zuerst das Bauchgefühl entscheidend, dann erst folgten
der Kopf, der Geist, der Verstand. Um zu verstehen, müsse man fühlen,
meint der Künstler und wünscht sich, dass die Menschen wieder lernen,
mehr auf ihr Bauchgefühl zu hören und zu vertrauen.
So lasse er sich auch rein vom Bauchgefühl steuern, wenn er ein Bild
beginne. «Das ist ein wunderschöner Augenblick.» Wann ein Werk dann
fertig sei, wisse er nicht. Ein Bauchgefühl lasse sich nicht steuern.
«Das ist so wie mit Gänsehaut. Die kommt einfach», macht Otgo deutlich.
Er arbeite leidenschaftlich, 3 bis 4 Stunden, meist stehend, bis die
Beine wehtun, die Zeit vergessend, bis es tiefe Nacht oder auch früher
Morgen wird. Und dann kommt wieder so ein typischer «Otgo-Satz»: «Bis
ich tot bin, habe ich Zeit.» Für ihn ist nur das Jetzt wichtig, der
Augenblick – nicht das Gestern, nicht das Morgen.
Deswegen versuche er erst gar nicht, ein Bild zu verstehen, solange es
noch nicht beendet sei. Auch dann gibt Otgo seinen Werken eigentlich
nur ungern konkrete Titel. Für ihn mache eher das Unverständliche die
Magie aus. «Ich verstehe auch einige Werke von Gerhard Richter nicht
immer, aber sie lösen eine Gänsehaut bei mir aus. Das ist die Magie
seiner Kunst, weil ich sie nicht verstehe», spricht Otgo mit
Bewunderung über den bekannten zeitgenössischen deutschen Maler und
Fotografen. «Ich möchte gerne, dass Kunst etwas auslöst – es muss nicht
immer Faszination sein», sagt Otgo.
Er selbst empfindet sein Malen wie eine Art Achtsamkeitsübung, in der
er die Zeit live und bewusst erlebt. So sei das Motiv, Pferd, Zebra,
Affe, menschliche Figuren, allein nicht wichtig. In ihrer enormen
Vielzahl entstehen sie aus der Kraft des Geistes heraus, aus einer
Meditation. Das Bild als Ganzes sei unendlich. An diesem Punkt verweist
der Künstler auch auf seine Heimat, die Mongolei. Dort gebe es viel
Magie, dort ist er schon als Jugendlicher in seiner Malerei
aufgegangen, hat sie später studiert und im jahrelangen Selbststudium
die traditionellen Techniken und Ikonografien mongolischer
Miniaturmalerei erlernt.
Erst Reiten dann Laufen lernen
Aus seiner Heimat stammt auch seine Verbundenheit zur Natur. «In der
Mongolei lernt mal als Kinder noch vor dem Laufen das Reiten auf einem
Pferd», erzählt er und erklärt dadurch die enge Vertrautheit mit
der
Natur. Nicht zuletzt deswegen gefällt es dem Künstler, der seit 17
Jahren in Deutschland lebt, dort seine eigene Familie mit Frau und zwei
Kindern hat und in Berlin ein grosses
Atelier mit Galerie besitzt, auch
so gut in der Schweiz. «Die Natur zeichnet hier bildhafte
Landschaften», sagt der Künstler Otgo. Ihm gefalle aber auch die
Sprache, die sei in der Schweiz lebhafter und lustiger als das
«Zack-zack- Deutsch» in Berlin.
In der Schweiz zeigt Otgo nicht zum ersten Mal seine Werke. 2018 hatte
er eine erste
Ausstellung in Thalwil, Kanton Zürich, lebte auch zwei
Jahre in der Schweiz und reist immer wieder gerne in den Ferien zu
Freunden in Thalwil. Dass er sich auch in Andermatt schon einige
Freunde gemacht hat, ist beim Besuch in seinem offenen Atelier auf
jeden Fall nicht zu überhören.
Welten begegnen in Göschenen
Otgonbayar («Otgo») Ershuu wird am Sonntag, 26. Juni, zu Gast bei der
Evangelisch-Reformierten Landeskirche Uri sein. Das Thema des um 10.00
Uhr beginnenden Gottesdienstes in Göschenen lautet: «Das Wunder der
Schöpfung, das Wunder des künstlerischen und des technischen Schaffens
erleben. Welten begegnen sich.» Zum Wunder der Schöpfung spricht
Pfarrer Sandor Jakab, das Wunder der Kunst beschreibt der Maler Otgo,
und das Wunder der Technik erläutert Gerhard Danioth. Um 12.00 Uhr gibt
es zudem das Angebot einer Führung durch das Infozentrum Tunnelbau
zweite Röhre am Gotthard in Göschenen.
(fk)
Die Quelle:
Urner Wochenblatt | 146. Jahrgang | Nr. 48 | Samstag, 18. Juni 2022