Unter dem Bogen ist das
Buntglasfenster nicht wie in einer westlichen Kirche von unten nach
oben und von links nach rechts zu lesen. Wir betreten den Raum dieses
Triptychons vollständig, es ist vor allem eine körperliche
Angelegenheit, die aus Empfindungen besteht. Der Raum der
Drei-Grazien-Kathedrale ist virtuell. Die Vision ist ganzheitlich und
fängt uns mit optischen Effekten ein, bevor unser Blick bei einem
Detail stehen bleibt und der Bewegung von allem folgt, was das Gemälde
ausmacht. Die Lesart beginnt mit jedem Blick immer wieder von neuem,
denn die Werke von OtGO sind immer voll von komplexem Leben. Das Licht
scheint hinter der Leinwand hervorzuspringen; besser können wir es
nicht ausdrücken. Betrachten wir schließlich die Rosetten, die in
diesem Triptychon zu sehen sind. Die Oculi erinnern an die Struktur des
Daches des “гэр” (Jurte auf Französisch) in Form eines Rades, das wir
“тооно” (toono) nennen und das den Platz zwischen dem Kosmos und dem
privaten geschlossenen Raum der Jurte einnimmt.
“тооно” (toono)
Erinnern wir uns zu diesem Thema an die Legende der Dame Alun Goa.
Lady Alun Goa, die Großmutter von Dschingis Khan, war mit ihren beiden
Söhnen Witwe, brachte aber drei weitere Jungen zur Welt. Diese
wundersamen Geburten stellten die beiden Ältesten in Frage: «Mutter,
wie kommt es, dass wir Brüder haben?»
«Meine Kinder, es kommt vor, dass ein Mondlichtstrahl das Dach der
Jurte durchquert, meinen Bauch streichelt und am frühen Morgen in Form
eines gelben Hundes entkommt.» Sie war beleidigt, dass ihre Söhne an
der göttlichen Geburt dieser drei Jungen, darunter ein zukünftiger
Eroberer der Welt, zweifeln konnten. Das Wunder in der Geschichte von
Lady Alun Goa rechtfertigte schließlich die göttliche Abstammung von
Dschingis Khan.
Kehren wir zu den Tieren zurück: Wenn die Fauna in den Werken von OtGO
so reichlich vorhanden ist, dann liegt dies zu einem großen Teil am
Engagement dieses in seiner Zeit gut verankerten Künstlers für die
Umwelt, aber auch daran, dass es in der Literatur und der mongolischen
Kunst von Tierfabeln oder Totemgeschichten wimmelt. Seit Anbeginn der
Zeit haben sich diese über die Seidenstraßen, buddhistische
Pilgerfahrten und die Stimmen mongolischer Barden in der Mongolei
verbreitet.
Das Triptychon bietet eine Vision, in der Harmonie und Kraft uns ebenso
verzaubern, wie die humanistische Persönlichkeit des Künstlers. Für ihn
ist Kunst kein einfaches Ausdrucksmittel. Es ist eine Ethik, es ist die
Kunst, als Dichter zu leben und sich wie ein Mandala als Quelle
intensiver Energie zu entfalten. In einer Zeit, in der die
Kunstgeschichte meist nach Leitmotiven skandalöser oder destruktiver
Episoden sucht, finden wir in den Werken von OtGO etwas Erhabenes.
Studio OtGO Berlin 2023